Erasmus-Projekt

Bericht Erasmus-workshop in Oeiras, Portugal
Christian Hofmann
Vom 18. bis zum 22. November 2014 fand der dritte von insgesamt fünf Workshops des aus EU-Mitteln (Erasmus+) geförderten Projekts „SOFAR – Sustainable Rural Regions through Women Social Agripreneurship and Social Farming“ im portugiesischen Ort Oeiras statt. Ziel des Projektes SOFAR (Social Farming) mit über 20 Teilnehmenden aus Portugal, Türkei, Slowenien und Deutschland ist es, einen intereuropäischen Erfahrungsaustausch über die Möglichkeiten und Realisierungswege von Sozialer Landwirtschaft und deren Potenziale gerade für Frauen und die Entwicklung ländlicher Regionen zu führen. Dabei sollen insbesondere den antragstellenden und das Projekt koordinierenden türkischen Projektpartnern von der Gazi-Universität (Ankara) genauere Kenntnisse über die damit verbundenen Konzepte und Möglichkeiten vermittelt werden, die sie dazu befähigen, eigenes didaktisches Material zu entwickeln und entsprechende Entwicklungsprozesse in der Region Ankara anzustoßen. U.a. soll ein Handbuch entstehen, an dem sich z.B. NGOs und Praktiker:innen orientieren können.
Die türkischen Projektpartner koordinieren das Projekt unter der Leitung von Prof. Güclü Yavuzcan. Sie kommen von den Fakultäten für Industrial Design und für Landwirtschaft der Gazi-Universität sowie von einer Frauenkooperative aus Ankara. Bei dem Workshop wurden von den Projektpartnern aus Portugal, Slowenien und Deutschland in insgesamt 10 Modulen etwa über die Themen „Soziale Landwirtschaft und Menschen mit geistiger Beeinträchtigung“ oder „Geschäftsmodelle für Social Agripreneurship“ referiert und hierüber gemeinsam mit den türkischen Projektpartnern diskutiert. Daneben ging es auch um die Präsentation eigener Projekte im Bereich der Sozialen Landwirtschaft, die als Best-practice-Beispiele gelten können.
Die gastgebende Organisation war die NGO Semear (s. www.semear.pt), die im nur wenige Kilometer von Lissabon entfernten Ort Oeiras ein ökologisch wirtschaftendes Projekt der Sozialen Landwirtschaft betreibt und den Weg zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft aufzeigen möchte. So arbeiten bei Semear Menschen mit (und ohne) geistige Beeinträchtigung bzw. unterschiedlichen Entwicklungsschwierigkeiten auf dem Acker (Semear terra) sowie beim Packen und Transport von Gemüsekisten, und erhalten hierbei eine Ausbildung. Darüber hinaus betreibt Semear auch Verarbeitung und Verkauf von Lebensmitteln (wie etwa Honig, Marmelade oder Olivenöl), ein eigenes Restaurant sowie eine Keramikwerkstatt. Die Arbeit der Organisation wurde in beeindruckender Weise von Iolanda Valente vorgestellt. Semear ist in der glücklichen Lage, durch eine Reihe zahlungskräftiger Sponsoren finanziert zu werden und auf einem sehr weitläufigen Grundstück in kommunalem Besitz, einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden ehemaligen Gartenanlage des Marques de Pombal, Raum für Ackerbau und weitere Aktivitäten zu finden. Auf diesem Grundstück sind neben Universitätsgebäuden zudem weitere Projekte angesiedelt, die z.T. eng mit Semear kooperieren und die für die Projektgruppe ebenfalls Ziele von Exkursionen wurden: so etwa ein städtisches Weingut, das sich dem Experimentieren und dem Erhalt des kulturellen Erbes verschrieben hat, und ein Citizen-Science-Ackerbau-Projekt, bei dem insbesondere mit dem Anbau resilienter, an den Klimawandel angepasster Sorten wie der Saat-Platterbse (Lathyrus sativus) experimentiert wird. Ebenfalls besuchte die Gruppe ein Urban Gardeming-Projekt in Oeiras.
Die slowenischen Projektpartner Goran und Lili Milosovic stellten das Projekt des Bio-Sozial-Hofs Korenika vor (s. https://www.korenika.si/korenika-de), das wie Semear ebenfalls als ein Best-practice-Beispiel der Sozialen Landwirtschaft gelten kann. Im nordostslowenischen Ort Salovci, im Landschaftsschutzgebiet Krajinski park Goricko, wurde ab 2008 der verlassene Hof Korenika wiederbelebt und in Kooperation mit dem Verein Pribinovina mehr als 50 Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung und aus verschiedenen vulnerablen Gruppen geschaffen. Zudem kommen Senior:innen und Schulklassen auf den Hof. Das Projekt umfasst ebenfalls die Bereiche Verarbeitung und Vertrieb von landwirtschaftlichen Produkten (z.B. Heilkräuter und Hanföl) sowie Bildungsveranstaltungen für die Öffentlichkeit sowie Angebote in Tourismus und Gastronomie.
Wie Semear wirtschaftet Korenika ökologisch; bei beiden handelt es sich um Projekte sozialen Unternehmertums, in denen Inklusion und Gemeinwohl im Vordergrund stehen. Damit haben beide Projekte zudem eine große Bedeutung für die soziale Integration in den jeweiligen Kommunen. So sind Semear und Korenika im engen Kontakt und Austausch mit der Verwaltung und dem jeweiligen Bürgermeister und betonen die Vorteile der sozialen Integration von Menschen mit sozialem Unterstützungsbedarf wie z.B. Behinderten, Obdachlosen oder Flüchtlingen für die Kommunen. Die Kommunen (Städte wie Dörfer) werden bei der Integration der sozial bedürftigen Zielgruppen entlastet – sie profitieren also selbst von den Projekten der Sozialen Landwirtschaft und sind zugleich wichtige Netzwerkpartner für diese.
Von deutscher Seite aus waren Alexander Krauss (SoWiBeFo-Institut, Regensburg), Dr. Viktoria Lofner-Meir (Ministerialrätin a.D. und Vorsitzende des Vereins Soziale Landwirtschaft Bayern e.V.) und Dr. Christian Hofmann (KSH München und Verein Soziale Landwirtschaft Bayern) dabei. Alexander Krauss ist in enger Abstimmung mit den türkischen Projektpartnern auch an der Organisation und Koordination beteiligt und hat häufig moderiert. Viktoria Lofner-Meir und Christian Hofmann referierten u.a. über Finanzierungsmöglichkeiten für Landwirtinnen und Landwirte sowie soziale Netzwerke und stellten die Arbeit des Vereins Soziale Landwirtschaft sowie des oberbayerischen Praxisnetzwerks Soziale Landwirtschaft und den im Herbst 2024 erschienenen, von Christian Hofmann gemeinsam mit Prof. Michael Spieker herausgegebenen, Sammelband „Potenziale der Sozialen Landwirtschaft“ vor.
In der Mischung aus theoretischen Inputs, Best-practice-Beispielen und Exkursionen war die Veranstaltung sehr gelungen und äußerst inspirierend und bereichernd. Die Zusammenarbeit soll 2025 in zwei weiteren Treffen weiter vertieft werden, die in Slowenien und in der Türkei stattfinden sollen. Dabei wird es darum gehen, konkrete Konzepte und Pläne auszuarbeiten, die für die Umsetzung in der Türkei empfohlen werden können. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Netzwerkpartner vor Ort einbezogen werden können. Hierfür wäre es vermutlich gut, Landwirt:innen und Vertreter:innen Sozialer Organisationen und Sozialer Arbeit frühzeitig in die Diskussion einzubeziehen.